Liftklub
«Zetesscee – niene mee » oder «Zetesscee – Nati B »
schrien in den 1970-er und 80-er Jahren frustrierte Fans im oft gähnend leeren Hallenstadion und fröstelten in eisiger Atmosphäre. Für so wenige Zuschauer lohnte sich damals das Heizen kaum. Am meisten «Action» passierte jeweils im vierten Drittel, irgendwo in Oerlikon, wenn die schlagkräftige Zetesscee-Anhängerschaft «feindliche» Autos demolierte und mangels Zetesscee-Siegen die Schlachtenbummler des Gastklubs im Nahkampf bezwang. Der Zürcher Schlittschuh Club, alias ZSC, alias Zetesscee, war Zürichs sportliches Sorgenkind und das Feindbild der Restschweiz von Arosa bis La Chaux-de-Fonds.
Die Prophezeiung «Zetesscee – Nati B» wurde 1971, im 41. Vereinsjahr, erstmals Tatsache. Um dem Trend mindestens farblich entgegenzuwirken, steckte der damalige Hallenstadion-Direktor Heinrich Hächler die ZSC-Spieler in grünweisse Trikots. Doch die Wirkung verpuffte: die gegnerischen Fans verhöhnten die einst stolzen Zürcher Eislöwen als «Laubfrösche». Es begann das sportliche Wechselbad: heiss, kalt, heiss, kalt. Innerhalb von 18 Jahren wechselte der ZSC elfmal die Liga: auf, ab, auf, ab. 1976 glaubte sogar die Hallenstadion-Leitung nicht mehr an ihre Hausmacht und hoffte hinter vorgehaltener Hand auf einen Absturz ins Amateurlager. Denn mit Ausstellungen und Konzerten liess sich besseres Geld verdienen als mit den Prügelknaben des Eishockeys. Böse Worte wie «Vereinsauflösung, freiwilliger Abstieg, Liquidation oder Bankrott» machten in Zürich die Runde. Die Konkurrenz frohlockte und hoffte: «Zetesscee – niene mee». Das Hallenstadion ging zu seinem Untermieter auf Distanz und gewährte Zürichs einstigem Paradepferd nur noch gegen eine Entschädigung von 9000 Franken pro Spiel weiterhin Gastrecht in seinem Stall. Lagen mehr als 3000 Franken in der ZSC-Kasse, konfiszierte das Hallenstadion das Geld. Der ZSC ass das Gnadenbrot.
Dann übernahm der Aargauer Sepp Voegeli die Hallenstadion-Leitung – und vieles wurde besser. Voegeli krempelte die Ärmel hoch. Doch die entmutigte ZSC-Gemeinde war anfänglich skeptisch. Was wollte dieser Radsport-Freak aus dem Fricktal, der von Eishockey weniger verstand als ein Eskimo vom Hornussen? Das anfängliche Misstrauen der Eissportler wich jedoch bald einer engen Zusammenarbeit mit dem vermeintlichen Aussenseiter. Voegeli witterte instinktiv die Chance für sein Stadion und strich – wie immer – das Wort «unmöglich» aus seinem Vokabular. Das Erfolgsrezept basierte auf dem logistischen Fortschritt. Der Hallenstadion-Direktor beschleunigte das Umbautempo von bisher zwei bis drei Tagen auf 24 Stunden. Um diese Vorgabe einzuhalten, legte das Personal Nachtschichten ein. Wenn nötig, wirkte Voegeli höchstpersönlich zwischen Mitternacht und Morgengrauen an vorderster Front mit – beispielsweise als Eismacher mit dem Schlauch im Anschlag. Anstatt in einer knappen halben Woche wie zuvor stand der Rink schon am Abend nach dem letzten Popkonzert für Eishockeyspiele zur Verfügung.
Sepp Voegeli legte für den ZSC den roten Teppich aus, verbesserte die Eishockey-Infrastruktur, verschönerte durch bauliche Massnahmen die vordem tristen Garderoben und vereinigte die beiden zuvor mitunter zerstrittenen Partner Hallenstadion und ZSC zu einem harmonischen Ganzen. In einträchtiger Zusammenarbeit mit Vereinspräsident Alfred Duttweiler, dem legendären Drogisten aus Oerlikon, ging Voegeli auf Sponsorenjagd und setzte seine ausgezeichneten Beziehungen zu Zürcher Wirtschaftskreisen für den ZSC ein. Das Duo Voegeli/Duttweiler verzehnfachte die Einnahmen aus der Bandenreklame, vervielfachte den Ertrag aus der Trikotwerbung, verhandelte mit Spielern, gründete die Gönnervereinigungen «Club 2000» und «Club 21» und führte den ZSC aus dem sportlichen Elend in den Eishockey-Mittelstand.
1989 schaffte der ZSC unter dem kurzfristig verpflichteten kanadischen Trainer Neil Nicholson in der Relegationspoule den Aufstieg. Im entscheidenden Spiel stürzte er im ausverkauften Hallenstadion den Rekordmeister aus Davos in die Zweitklassigkeit. Nun sangen die ZSC-Fans: «HCD – niene mee». Der damalige TK-Chef Peter Meier, zuvor zwischen 1959 und 1970 schussgewaltiger Stürmer und 1961 Meister mit seinem Stammklub, erinnert sich voller Stolz an jene Saison: «Wir hatten mit Vollmer, Geiger, Bünzli, Hotz, Marti und meinem Sohn Roger Meier einen Stamm von aussergewöhnlich talentierten Spielern aus Dübendorf.» Trainer Nicholson war dagegen eher zufällig in die Verantwortung gerufen worden. Peter Meier erzählt: «Nach der Trennung von Timo Lahtinen kontaktierte ich den Spielervermittler Nicholson und fragte ihn, ob er einen Trainer für uns kenne. Er sagte: «Ja, ich bin euer Mann.» ». Es war eine Personalie von durchschlagendem Erfolg. Heute sagt Meier: «Auf diesen Aufstieg bin ich sehr stolz. Denn es war der letzte. Guido Tognoni pflegt zwar zu sagen, dass er als Sportchef mit dem ZSC dreimal aufgestiegen sei, aber er tauchte auch dreimal in die Nationalliga B.» Es war im Hallenstadion zwar auch nach diesem Coup nicht alles Gold, was glänzte. Doch der ZSC fand seinen Platz in der Spitzenliga, gewann gelegentlich sogar gegen Kloten und lockte das Publikum in Scharen an. In der Saison 1992/1993 verkaufte der ZSC 4000 Saisonkarten. Die Fussballkonkurrenz vom Hardturm und Letzigrund kam in der gleichen Periode mit Stadien, die dreimal mehr Zuschauer fassten als das Hallenstadion, auf 2900 und 1100 Abonnemente. Die legendären Playoff-Schlachten gegen Lugano lockten 11‘500 Zuschauer ins Hallenstadion. Die Fussballpartien GC - Lugano und FCZ – Lugano zogen 2100 bzw. 3700 Unentwegte an. Gesamthaft kamen in der Saison 1991/92 181‘104 Zuschauer an die ZSC-Heimspiele ins Hallenstadion. FCZ (110‘900) und GC (110‘300) erblassten vor Neid. Dabei wartete der ZSC seit 31 Jahren auf einen Meistertitel. Die Zürcher Fussballklubs waren in dieser Zeitspanne je siebenmal Meister und zusammen neunmal Cupsieger geworden.
Der ZSC wurde zum Trendsetter und Kultklub. Das heroische Scheitern wurde unfreiwillig zu einem Verkaufsargument. Denn Eishockey im Hallenstadion war in jener Zeit weit mehr als Sport. Es war auch Begegnung, Frustbewältigung, Freiraum für aufgestaute Emotionen, Unterhaltung und Gesellschaftsanlass. Wildfremde Menschen verschiedenster Herkunft und Gehaltsklassen lagen sich nach den eher raren Toren der Zürcher Eishockeystars in den Armen. Bierbecher flogen, der Rauch vernebelte die Sicht aufs Eis (und gelegentlich die Sinne). Peter Meier sagt über jene Jahre im «Wilden Norden» Zürichs: «Der ZSC war ein Lebensgefühl. Schon als ich als Bub ins Hallenstadion trat, schnellte mein Puls in die Höhe. Der Lärm, der Geruch, die Ambiance verströmten etwas gleichsam Verruchtes wie Faszinierendes.»